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“Eine militärische Intervention in Syrien ist möglich.”

Was konnte man heute im linksliberalen französischen Blatt Le Monde lesen? Eine militärische Intervention in Syrien sei möglich. Die Mehrheit der Franzosen sei mittlerweile ohnehin für einen bewaffneten Einsatz gegen Assad. Und auch Monsieur le Président spreche sich für eine Intervention des Westens zur Beendigung des Blutvergießens in Syrien aus. Bereitet sich Frankreich medial auf ein zweites Benghazi vor? Endet Assad wie einst Gaddafi? Wann starten die ersten Rafale-Jets?

Die Schlagzeile führt zugegebenermaßen in die Irre. Hinter der aufsehenerregenden Überschrift verbirgt sich ein Beitrag des französischen General a.D. Jean-Patrick Gaviard, ehemaliger chef des opérations des armées, der mehr Besonnenheit und strategischen Weitblick beweist, als es die Schlagzeile zunächst vermuten lässt. Ein Artikel zwischen Strategie, Taktik und Utopie mit einem vernichtenden Urteil über die militärischen Fähigkeiten der europäischen Verbündeten:

Wie sähe ein Einsatz gegen Assad aus? Zunächst müsste einem Waffengang eine völkerrechtliche Mandatierung vorausgehen. Ob und in welchem Maße diese bei der bisherigen Blockadehaltung Russlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat in Sicht ist, bleibt fraglich. Man könnte die Diskussion hier beinahe beenden. Nichtsdestoweniger geht Gaviard einen Schritt weiter und stellt diverse Hypothesen zu einem irgendwann möglichen Einsatz gegen Assad auf.

Wer wäre beteiligt? Eine Koalition aus den verbündeten europäischen Staaten, der Türkei und vor allem den USA ist hier naheliegend. Zudem könnte – religionspolitisch motiviert – Unterstützung aus Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten erwartet werden. Die bereits erfolgten Waffenlieferungen aus diesem Kreis an die syrische Opposition sind hinreichend bekannt. Was den Anschein eines übermächtigen Gegners für Assad macht, entpuppt sich dennoch gewissermaßen als Mogelpackung. Eine tatsächlich schlagkräfte Truppe könnten einzig und allein die USA einsetzen, vor allem aus logistischen, operationellen und letztlich auch finanziellen Gründen. Alles stünde und fiele mit dem us-amerikanischen Engagement. Die NATO ist eben noch nicht europäisch genug geworden. Ist ein solches Engagement der Amerikaner absehbar? Besteht in den USA ein politischer Wille zur Intervention? Die Frage ist zum heutigen Zeitpunkt wohl eher mit Nein zu beantworten, wenngleich Obama in aufziehenden Wahlkampfzeiten einen außenpolitischen Erfolg sicherlich gut gebrauchen könnte. Einen weiteren Krieg, wohl möglich länger andauernd als geplant, kann er allerdings nicht gebrauchen.

Dass es sich bei einem Einsatz gegen Assad um einen Krieg mit sehr wahrscheinlichen Verlusten handeln könnte, betont Gaviard sehr deutlich. Die syrische Flugabwehr, die Seezielflugkörper und weitere Waffensysteme russischer Bauart könnten einem lange andauernden Abnutzungskrieg zwar nichts entgegensetzen, jedoch könnten selbst einzelne Abschüsse von westlichen Luftfahrzeugen oder Marineeinheiten in der Öffentlichkeit erhebliche Konsequenzen haben. Das Funktionieren ihrer Luftabwehr hat die syrische Armee zuletzt unter Beweis gestellt. Zudem verschanzen sich die Assad-Truppen in Wohngebieten und sind äußerst mobil. Wie erklärt man zivile NATO-Bombenopfer in Syrien, und erst recht daheim? Offenbar kann man bei einer militärischen Intervention lediglich als Verlierer vom Schlachtfeld ziehen. Also Finger davon?

Ohnehin wird der Einsatz von Bodentruppen – abgesehen von verdeckt operierenden Eliteeinheiten – von Gaviard kategorisch ausgeschlossen. Man könne sich neben Afghanistan keinen Krieg an Land erlauben. Eine angenommene militärische Intervention von der Basis See und aus der Luft müsste damit sechs Hauptziele erreichen: 1) Sicherung der See, Sicherung des Embargos und Ausschalten der syrischen Marine, die durchaus über Uboote und Überwassereinheiten verfügt, 2) Eroberung der Lufthoheit und Ausschalten der syrischen Luftwaffe 3) Zerstörung der Radar- und Flugabwehranlagen, 4) Verhinderung von Greueltaten an der syrischen Bevölkerung, 5) Luftunterstützung für einen Feldzug der oppositionellen Truppen, 6) Zerstörung der Schaltzentralen Assads und seines Kommunikationsnetzes. Wer kann das?

Libyen habe gezeigt, dass insbesondere die europäischen Staaten, was Munition, Versorgung, Gerät und Ausbildung betrifft, nicht in der Lage sind, derartige Vorhaben umzusetzen. Nicht einmal die Anzahl der einsatzbereiten Drohnen sei ausreichend.  Über die Anekdote der tatsächlich gegen Gaddafi eingesetzten britischen Tomahawk-Marschflugkörper möchte ich meinerseits gar nicht erst berichten. Was schließt man also daraus? Ein zweites Libyen, ein weiterer Einsatz wie in Benghazi, muss aus rein militärischen Erwägungen als unrealistisch bezeichnet werden. Zumindest von europäischer Seite. Man wartet also auf den großen Partner USA. Gaviard merkt dazu im genauen Wortlaut an:

“Cette démonstration également met en exergue indirectement les limites des capacités d’intervention des forces armées européennes et plus particulièrement françaises qui possèdent des lacunes capacitaires dans tous les domaines cités [...] Concrètement, une intervention ‘en premier’ comme celle effectuée le 19 mars 2011 par les Rafale pour sauver la population de Benghazi promise à un massacre face serait aujourd’hui impossible en Syrie.” (Le Monde, 02.07.2012)

Was ist nun von diesen Ausführungen zu halten? Einerseits spricht Gaviard Missstände der NATO klar und deutlich an. Fehlplanungen auf der einen und redundante Strukturen und Fähigkeiten auf der anderen Seite schaffen nun einmal Effizienzprobleme. Hinzu kommt der (noch) fehlende Wille zur multinationalen Kooperation, da nationale Partikularinteressen immer noch überwiegen. Aber ist die NATO wirklich derart paralysiert? Ein gewisses Maß an Polemik kann man Gaviard andererseits nicht absprechen. Die syrische Armee wird vielleicht ein wenig überzeichnet oder überschätzt, was die Probleme der NATO umso deutlicher hervortreten lässt. Man mag es ihm allerdings verzeihen, da er diesen argumentativen Kniff mit einem klaren Appell für mehr strategischen, bündnisorientierten Weitblick verbindet.

Was bleibt ist der fade Beigeschmack der täglichen Meldungen von Opfern und Verbrechen, die in beiden syrischen Lagern zu verzeichnen sind. Gut und Böse sind hier längst nicht mehr zu trennen. Strategiedebatten in diesen Zeiten offenbaren in grausamer Deutlichkeit die Dichotomien und Herausforderungen der heutigen schnelllebigen, komplizierten und facettenreichen Sicherheitspolitik. Dennoch bleiben insgesamt zu viele Fragezeichen hinter einem militärischen Engagement in Syrien. Wie ist der völkerrechtliche Status? Was ist, wenn russische Schiffe in Tartus Schaden nehmen? Was ist, wenn NATO-Angriffe zivile Bombenopfer fordern? Will man die Opposition in Syrien überhaupt unterstützen bzw. gibt es DIE syrische Opposition? Oder gehen vielleicht türkische Bodentruppen über die Grenze? Wer zahlt? Wer übernimmt die Führung? Wer gibt den Impuls? Wer zeigt Handlungsinitiative? Viele Fragen, deren Antworten zunächst wohl weiterhin auf dem diplomatischen Parkett zu suchen sind.


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